Ich möchte euch eine kleine Geschichte erzählen, die erläutert wie weit der deutsche Überwachungsstaat schon vorangeschritten ist. Vielleicht rüttelt es ja Einige wach oder regt zum Nachdenken an.
Zur Vorgeschichte muss ich erklären, dass ich gerade als freier Entwickler in einem internationalen Projekt mitarbeite. Regelmäßig treffen wir uns dafür in Telefonkonferenzen, um den Projektstatus und Probleme zu besprechen. Üblicher Weise albern wir zu Beginn etwas rum, weil wir meistens auf unsere viel beschäftigten Projektleiter warten müssen, die selten pünktlich in der Konferenz sind. In der letzten Telefonkonferenz erzählte mir ein Kollege in der Wartezeit die folgende Geschichte.
Mein Kollege arbeitet inzwischen als reiner Selbständiger von zu Hause und ist von Berlin an die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Ein beneidenswerter Zustand den ich auch irgendwann erreichen möchte. Seine Wohnung in Berlin hat er aber nicht aufgegeben, da bekannt ist, dass bei einer Neuvermietung mit einer kräftigen Mieterhöhung zu rechnen ist. Er ließ den Mietvertrag auf seinen Namen weiter laufen und lässt einen Freund in der Wohnung wohnen. Dies hat für ihn mehrere Vorteile. Er muss keinen Nachsendeantrag stellen, der sehr unzuverlässig ist und darüberhinaus sogar inzwischen Geld kostet bei der Post. Außerdem will man meistens ja gar nicht, dass alle möglichen Werbeversender, die dann von der Post informiert werden die neue Adresse erhalten. So hat er seinem Freund erlaubt seine Post zu öffnen und was wichtig ist wird an sein neues Büro an der Küste gefaxt. Falls er für einen Kundentermin doch mal nach Berlin muss kann er immer noch bei seinem Freund auf dem Sofa schlafen. Sein Freund hat wiederum den Vorteil einer sehr moderaten Miete in Berlin.
Jetzt ereignete sich aber folgendes. Mein Kollege musste im September auf drei Kontinente. Zuerst zu einer Schulung in die USA, dann sollte er einen Vortrag in Indien an einer Universität halten über ein Open-Source-Projekt wo er mit Indern zusammenarbeitet und anschließend musste er nach Südafrika für die Abnahme eine Softwareprojektes für das er verantwortlich war. Er bekam das aber alles auf die Reihe und organisierte seine Flüge über Berlin, da es in Mecklenburg-Vorpommern recht wenige Flughäfen für internationale Flüge gibt. Da er am Bundestagswahltag nicht zu Hause sein konnte und zwischen den Flügen bei seinem Freund übernachten wollte, lies er sich die Wahlunterlagen zur Briefwahl nach Berlin senden. Er nahm seinen ersten Flug wahr und kam erfolgreich nach Berlin zurück. Das Wochenende bis zum nächsten Flug übernachtete er bei seinem Freund und füllte seine Wahlunterlagen aus. Die weiteren Termine und Flüge liefen auch alle glatt und etwas erschöpft kam er schließlich wieder in seiner Heimat an der Ostseeküste an. Doch da traute er seinen Augen nicht, als er seinen Briefkasten öffnete. In dem kleinen Dorf in dem er wohnt ist wohl der Mitarbeiter, der für das Einwohnermeldeamt zuständig ist auch für die Wahlunterlagen zuständig und der schrieb ihm, dass er es ungewöhnlich findet, dass er sich seine Wahlunterlagen an seine alte Adresse in Berlin senden lies, wo er doch dort gar nicht mehr gemeldet ist. Er möge doch bitte seine Meldeanschriften korrigieren und auch seinen Zweitwohnsitz korrekt anmelden. Ansonsten würde er eine Ordnungswidrigkeit begehen.
Da sind wohl Daten ausgewertet und zusammengeführt worden, die aus Datenschutzgründen gar nicht verknüpft hätten werden dürfen.
Jetzt werden sich sicherlich einige meiner Blogleser fragen: Na und? Da hat nur eine aufmerksamer Mitarbeiter im Rathaus gute Arbeit geleistet. Deswegen will ich einmal ausmalen wie eine solche Situation in naher Zukunft, mit noch mehr zusammengeführten Datenbanken, sich auswirken könnte.
Also gleiche Situation etwa 2023 bzw. 10 Jahre in der Zukunft. Allgegenwärtige Überwachung wird nach dem Motto „wer nichts zu verbergen hat, hat nicht zu befürchten“ akzeptiert. Alles wird in Datenbanken gespeichert, zusammengeführt und ausgewertet. Die Wahlunterlagen werden beantragt und automatisch poppt ein Fenster auf mit der Meldung: „Achtung, die Unterlagen werden an die alte Meldeadresse gesendet, wo der Empfänger aber nicht mehr gemeldet ist. Ist der Vorgang verdächtig?“ Der Mitarbeiter im Rathaus klickt „JA“ an. Alles geht automatisch zum Verfassungsschutz. Dieser lässt eine Polizeistreife bei der Berliner Adresse nachschauen. Diese meldet, dass der Name des Verdächtigen noch am Briefkasten zusammen mit einem anderen Namen klebt. Man lässt sich den Mietvertrag zukommen und stellt fest, dass dieser immer noch auf den Namen des Verdächtigen läuft. Folglich fragt man die GPS-Daten seines Autos ab und stellt fest, dass dieses in Berlin vor der Wohnung parkt. Seine Mobilfunkdaten bestätigen, dass er sich am Flughafen aufgehalten hat. Da er nicht mehr in Berlin gemeldet ist und mit einer weiteren unbekannten Person offensichtlich den Flughafen observiert, werden beide wegen Terrorverdacht festgenommen und verhört.
Fazit
Soweit also zum Thema „wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“. Eine solche Massenüberwachung und Auswertung durch Algorithmen oder Mitarbeiter die nur Terroristen sehen, produziert nur Terrorverdächtige selbst bei ganz harmlosen Verwicklungen. Schon damals bei der Rasterverhandung wegen der RAF haben die Polizisten sich durch massen von Hinweisen mühsam durcharbeiten müssen, während die Terroristen anonym in einer Hochhaussiedlung untergetaucht sind. Wer Daten sammelt bekommt auch Daten, die er auswerten kann. Wer Daten vermeiden will verhält sich schlau. Der Polizist der Zukunft ist dann nur noch in der Lage eine Datenbank abzufragen, die einen Verdächtigen ausspukt und der wird dann verhaftet, weil der Computer es gesagt hat. Normale Polizeiarbeit und Ermittlung ist viel zu zeitaufwendig und mühsam. Wir werden alle auf ein Gefahrenpotential reduziert und bei einem zu hohen Gefahrenvektor verhaftet. Das wahre Gefahrenpotential interessiert niemanden, weil es durch Computeralgorithmen bestimmt wird, die niemand mehr durchschaut. Eine schöne neu sichere Welt in der alle Sicherheitsfanatiker glücklich sind und vor allem die Industrie, die Überwachungssysteme anbietet.