Ich bin immer noch ganz geschockt und paralysiert, wie die deutsche Regierung auf den Überwachungsskandal reagiert. Angeblich weiß sie von Nichts und alles was dann doch rauskommt ist in Ordnung, nicht so schlimm und rechtsstaatlich bedenkenlos zulässig. Wie kann man auf so viel Inkompetenz kombiniert mit Unverfrorenheit reagieren?
In der hamburger Morgenpost viel mir zufällig ein gutes Interview mit Frau Merkel zum Überwachungsskandal auf. Die Morgenpost glänzt als sogenanntes Boulevardblatt mit eher seichten Neuigkeiten, also viel nackter Haut, großen Fotos und wenig Text. Manchmal verirrt sich dort aber durchaus lesenswertes und zur Steigerung der Medienkompetenz möchte ich das Merkel-Interview vom 19. Juli 2013 aus der hamburger Morgenpost hier einmal auseinander nehmen und zwischen den Zeilen lesen.
MoPo: Frau Bundeskanzlerin, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wirft Ihnen in der NSA-Affäre vor, Sie verletzen Ihren Amtseid und schützen die Deutschen nicht vor Ausspähung. Lassen sie das Volk im Stich?
Merkel: Meine Aufgabe als Bundeskanzlerin ist es, dafür zu arbeiten, dass die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger umfassend gewährleistet ist. Damit meine ich die Sicherheit vor terroristischen Angriffen und anderen Formen von Gewalt und Kriminalität wie auch die Sicherheit der persönlichen Daten, also den Schutz der Privatsphäre. Beides muss immer wieder in eine Balance gebracht werden.
Eine gute berechtigte Frage gleich zum Anfang des Interviews. Kein Small-Talk gleich ran an das Thema. Genauso mag ich es. Leider ist die Frage für Politiker wie Frau Merkel nicht klar genug formuliert. Die Frage spricht mehrere Themen an und so sucht sich Frau Merkel die Teile der Frage aus, die sie beantworten möchte und geht gar nicht auf den Vorwurf der Verletzung ihres Amtseides ein. Ihre Antwort ist aber wie aus dem Bilderbuch und könnte in einem CDU-Hochglanzprospekt genau so stehen. Wohlklingend, gut formuliert und trotzdem nichtssagende Allgemeinplätze mit denen man nirgendwo aneckt und alle Wählergruppen zufrieden stimmt. Genauso kennt man die Kanzlerin und das ist wahrscheinlich das Geheimnis ihres Erfolges. Keine eigene Meinung haben und immer nur Wohlklingendes sagen.
Wie Frau Merkel zur Überwachung steht hat sie auf einer Wahlkampfveranstaltung unmissverständlich gesagt. In der CDU ist die sogenannte Law-and-Order-Mentalität leider weit verbreitet. Im Namen der Sicherheit ist für solche Politiker alles erlaubt. Eine Balance von der Frau Merkel spricht ist ein dehnbarer Begriff und die CDU tendiert immer zur Sicherheit.
MoPo: Das beantwortet meine Frage nach Steinbrücks Vorwurf nicht. Ist die Abhör-Affäre ein zugkräftiges Thema für den Wahlkampf?
Merkel: Es beantwortet ihre Frage sehr wohl. Nun bemühen wir uns aufzuklären, was geschehen ist und ob Rechte deutscher Staatsbürger verletzt worden sind oder nicht. Das ist die Pflicht der Bundesregierung. Eine endgültige Antwort können wir erst geben, wenn wir nicht nur Berichte, sondern überprüfbare Fakten haben. Im Übrigen werden in einem Wahlkampf all die Themen behandelt, die dem Bürger wichtig sind. Mit allem was die Bürger bewegt, habe ich mich als Politikerin zu befassen und als Regierungschefin die bestmögliche Lösung zu finden, die unseren deutschen Werten und Interessen entsprechen und den Menschen dienen.
Super, der Journalist hakt nach und sagt klar, dass die Frage nicht beantwortet wurde. Leider macht er dann den gleichen Fehler wie vorher und hängt eine andere Frage hinten ran. Für Journalisten ist es immer eine Gratwanderung. Sind sie zu kritisch, wird das Interview abgebrochen und nicht freigegeben. Häufig rechnen sie aber auch gar nicht mehr damit, dass die Politiker ihre Fragen beantworten und spulen einfach nur ihre vorbereiteten Fragen ab.
Jetzt könnte Frau Merkel sich in ihrer Antwort auf den Wahlkampf beschränken und abermals das Thema Amtseidsbruch auslassen aber das widerspricht ihrem Ego. Auf solche Fragen regiert sie immer etwas bockig, wie man im Fall des holländischen Journalisten oder der Frage zu Snowden sieht. Zu kritisches Nachfragen mag sie gar nicht. Deswegen muss sie darauf hinweisen, dass sie sehr wohl die Frage beantwortet hat.
Dann redet sie von den „Rechten deutscher Staatsbürger“ und verkennt dabei, dass die Privatsphäre ein Menschenrecht ist und somit für alle Bewohner Deutschlands gilt. Für Ausländer in Deutschland setzt sie sich als Kanzlerin offensichtlich laut ihrer Antwort nicht ein.
Sie will sich also für alles einsetzen was dem Bürger wichtig ist. Die Umfragewerte geben ihr recht. Egal was sie macht, sie steigen. Dies liegt aber daran, dass Frau Merkel gerne auf alles so antwortet, dass sie darüber nachdenken würde. Dies stellt einfache Bürger zufrieden, schließlich denkt die Kanzlerin über ihre Probleme zumindest nach.
Es wäre mir gar nicht aufgefallen aber plötzlich spricht Frau Merkel von den „deutschen Werten“. Zuvor hatte sie schon nur von den Rechten „deutscher Staatsbürger“ gesprochen. Da fischt wohl jemand am rechten Rand nach Wählerstimmen
MoPo: Aber ihr Herausforder bezichtigt Sie doch nun des Eidbruches.
Merkel: Das ist die Opposition.
Genial, noch mal nachgefragt wegen dem Eidbruch aber auch gefährlich, denn jetzt könnte Frau Merkel das Interview abbrechen, weil die Frage ihrer Meinung nach schon beantwortet wurde. Sie reagiert aber gelassen und gibt die Opposition der Lächerlichkeit preis, was leider zutrifft. Wenn Herr Steinbrück es ernst meinen würde, müsste er im Bundestag einen Misstrauensantrag stellen. Der würde wegen der Regierungsmehrheit wahrscheinlich abgelehnt werden. Deswegen müsste Herr Steinbrück seine Vorwürfe zur Anzeige bringen, schließlich ist ein kriminelles Handeln ein Fall für die Staatsanwaltschaft und die Gewaltenteilung in einem demokratischen Rechtsstaat. Die Tatsache, dass er dies nicht tut zeigt, dass er nur dumm daher redet und Frau Merkel deswegen gelassen bleiben kann.
MoPo: Und was tun Sie dann in der Abhör-Affäre?
Merkel: Ich setze mich erstens dafür ein, dass unsere Fachleute den Sachverhalt aufklären. Ich mache dabei vorneweg klar, was für mich als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Priorität hat, und das ist, dass auf deutschem Boden deutsches Recht eingehalten werden muss, auch von den Nachrichtendiensten befreundeter Staaten. Ob das in der Vergangenheit immer so war, muss jetzt geklärt werden. Und ich erwarte zweitens, dass dies für die Zukunft sichergestellt ist.
Eine berechtigte Frage, denn Frau Merkel glänzte bis jetzt durch Nichtstun und dadurch, dass sie angeblich von Nichts gewusst hat. Was sie entweder inkompetent oder zur Lügnerin macht, da der BND und die Bundeswehr in Afghanistan Zugriff auf die PRISM-Überwachungsdaten hatten.
Aber die Kanzlerin will, wie es die Art ihrer Partei ist, für brutalst mögliche Aufklärung sorgen. In Deutschland muss man sich an deutsches Recht halten, es sei denn man arbeitet für den Geheimdienst, dann ist man außerhalb des Rechts, oder warum haben die jahrelang ungestraft unter Missachtung des Grundgesetzes unsere Post gelesen?
Aber befreundete Nachrichtendienste müssen sich laut Frau Merkel auch an das deutsche Recht halten. Die feindlichen Nachrichtendienste müssen dies freilich nicht, denn die werden ja auch von uns unter Missachtung sämtlicher Gesetze ausspioniert, oder wie ist das zu verstehen?
Frau Merkel wendet hier einen Trick an, den schlaue Kriminelle bei der Polizei durchziehen. Sie gibt nur das zu, was man ihr nachweisen kann. Alles andere hat sie nicht gewusst oder muss noch aufgeklärt werden. Im schnellen politischen Tagesgeschäft fragt dann morgen Keiner mehr danach, was denn jetzt aufgeklärt wurde und welche Konsequenzen ergriffen wurden
MoPo: Sie sprechen von der Notwendigkeit einer Balance zwischen Gefahrenabwehr und Datenschutz. Hat sich diese Balance nicht längst einseitig in Richtung Sicherheit verschoben – zulasten der bürgerlichen Freiheiten?
Merkel: Beide Werte, Freiheit und Sicherheit, stehen in einem gewissen Konflikt zueinander, und zwar seit jeher, und in einem demokratischen Staat müssen sie genau deshalb immer wieder ins Gleichgewicht gesetzt werden. Für Deutschland kann ich mit Überzeugung sagen, dass wir diese Balance bewahren wollen. Die sehr strikten deutschen Gesetze zum Beispiel im Hinblick auf die Telekommunikation dienen diesem Ziel. Es gibt eine parlamentarische Kontrolle. Aber die Kommunikation ist im globalisierten digitalen Zeitalter buchstäblich grenzenlos geworden, und damit verläuft sie teilweise auch außerhalb des Geltungsbereiches unseres Rechts. Wir brauchen also dringend internationale Vereinbarungen, die sowohl den Schutz der Privatsphäre eines jeden als auch den Schutz vor vielfältigen Bedrohungen dienen. Unser nationales Recht allein reicht da nicht aus.
Gute Frage nur hätte ich sie etwas schärfer formuliert. Ich hätte den Begriff „bürgerliche Freiheiten“ nicht gewählt, weil er schwammig ist und Frau Merkels nichtssagende Antwort dadurch überhaupt erst ermöglicht. Ganz klar verstoßen anlasslose Massenüberwachungen gegen die Unschuldsvermutung und damit gegen die Menschenrechte. Leider benötigt man dazu eine gewisse juristische Grundkenntnis, die vielen Journalisten fehlt.
Frau Merkel kann hier also erzählen was sie will, denn Freiheit ist dehnbar und Sicherheit in ihren Augen wichtiger. Dann spricht sie von strikten deutschen Gesetzen und dies obwohl fast jedes in Deutschland von der Regierung gebrochen wurde. Sei es die Pressefreiheit, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, oder das Briefgeheimnis. Als ausgezeichneter Journalist hätte man sie hier leicht festnageln können.
Es gibt eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste, die nicht mehr als ein Feigenblatt ist. Die Politiker im Kontrollgremium werden aus der Presse besser über die Tätigkeit der Geheimdienste informiert, als von denen selbst.
Danach spricht Freu Merkel über das #Neuland, dem Internet. Zuerst einmal erläutert sie ihre Arbeitsverweigerungshaltung, denn alles ist grenzenlos und außerhalb von Deutschland und es gibt keine internationalen Vereinbarungen in ihrer kleinkarierten Neuland-Welt. Dass es vier völkerrechtliche Abkommen zum Schutz des Menschenrechts auf Privatsphäre gibt verschweigt sie uns, denn dann müsste sie ja daran arbeiten und sich für die Einhaltung der Gesetze einsetzen. So ist sie fein raus und kann sagen: „Ich würde ja aber ich kann ja nicht!“.
Die vier völkerrechtlichen Abkommen zum Schutz des Menschenrechtes auf Privatsphäre sind in zeitlicher Reihenfolge:
- 1948 – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Artikel 12
- 1950 – Europäische Menschenrechtskonvention – Artikel 8
- 1966 – UN-Zivilpakt – Artikel 17
- 1999 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Artikel 8
Das Grundgesetz, die UN-Charta und der EU-Vertrag verpflichten eindeutig auf die Einhaltung der unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte. Insofern mangelt es nicht an Gesetzen sondern am Willen der Einhaltung. Aber Politiker machen gerne Gesetze und viele davon, weil es häufig das Einzige ist was sie können. Leider hat Frau Merkel noch nicht bemerkt, dass die Geheimdienste unbeeindruckt von den Gesetzen außerhalb des Rechts arbeiten.
MoPo: Sondern?
Merkel: Das Ziel ist ein einheitlicher Rechtsrahmen. Dabei müssen wir auch wissen, dass schon innerhalb der EU das Verständnis, welche Eingriffe in die Telekommunikation verhältnismäßig sind und welche nicht, sehr unterschiedlich sind – und in Amerika gibt es noch einmal eine andere Einstellung dazu. In der EU verhandeln wir nun sehr engagiert über eine EU-Datenschutz-Grundverordnung.
Bis jetzt hat mir das Interview sehr gut gefallen von der journalistischen Leistung. Aber was bitteschön soll eine unkonkrete Frage wie „Sondern?“. Damit ermöglicht man doch Frau Merkel regelrecht weitere unsinnige Allgemeinplätze runterzubeten, die sie auswendig gelernt hat. Wie man hier hätte kontern können und das Interview weiter auf einem hohen Niveau gehalten hätte habe ich zuvor erläutert.
Frau Merkel ergreift dann auch ihre Chance in der Antwort. Sie will einen europäischen Rechtsrahmen, obwohl es den schon längst gibt über die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Gesetze machen können Politiker; sie lesen und anwenden ist aber anscheinend nicht ihr Fall. Deswegen will Frau Merkel eine EU-Datenschutz-Grundverordnung. Klingt gut, ist aber leider eine totale Lachnummer, da Lobbyisten das Gesetz geschrieben haben.
MoPo: … die als EU-Recht an die Stelle des deutschen Datenschutzgesetzes träten.
Merkel: … bei der wir uns bemühen müssen, so viel wie möglich von unseren hohen deutschen Standard auf europäischer Ebene durchzusetzen, dass es also keine qualifizierten Abstriche von unseren Standards gibt, sondern eine qualitativ hochwertiger gemeinsamer anspruchsvoller EU-Datenschutzstandard entsteht, der für uns von hohem Wert wäre. Derzeit müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise ein Unternehmen wie Facebook, das in Irland registriert ist, irischem Recht unterliegt. Womit ich gar nichts gegen irisches Recht sagen möchte, sondern vielmehr, dass wir uns den Verhandlungen in der EU jetzt entschieden dafür einsetzen, dass in Europa ansässige Internetfirmen Auskunft darüber geben müssen, an wen sie Daten weitergeben. Bis jetzt konnte darüber keine Einigung mit den Unternehmen erzielt werden. Wir werden aber auf eine entsprechende Verpflichtung drängen.
Was soll das denn jetzt? Will man sich als Frau Merkels Pressesprecher bewerben, der nur Stichworte liefert? Warum wird hier nicht mehr nachgehakt und warum wird nicht mehr auf die Schwachpunkte von Frau Merkels Antworten eingegangen, wie am Anfang des Interviews. Nach den paar Fragen sollte einem Journalisten noch nicht die Puste ausgehen
Profis wie Frau Merkel nutzen so etwas natürlich gnadenlos aus und reden sich heiß. Das merkt man an den langen verschachtelten Nebensätzen, die Frau Merkel uns jetzt präsentiert. Sie ist in ihrem Element und spult ihr auswendig gelerntes Wissen ab. Sie redet von Qualität und Hochwertigkeit und deswegen schickt sie auch ihren besten und kompetentesten Mann in der Regierung nämlich Innenminister Friedrich nach Brüssel für das EU-Datenschutzabkommen.
Dann hat Frau Merkel so viel erzählt, dass sie schon gar nicht mehr weiß was das Alles war. Sie widerspricht sich selbst. Zuvor hat sie uns doch erzählt, dass sich auch befreundete Nachrichtendienste an die deutschen Gesetze halten müssen. Jetzt erzählt sie uns aber, dass Facebook in Irland das nicht muss? Wie ist denn das jetzt? Kann man sich aussuchen, ob man sich an deutsche Gesetze hält oder will uns Frau Merkel damit nur erklären warum sie nichts macht. Bei den Geheimdiensten will sie erst noch aufklären und bei Facebook soll es die EU regeln. Alles in allem kassiert Frau Merkel ein gutes Gehalt fürs Nichts tun. Frei nach dem Motto: Wer arbeitet macht Fehler. Wer viel arbeite macht viele Fehler. Die CDU macht keine Fehler! Andererseits geht es bei christlicher Politik viel um den Glauben. Man muss halt glauben, dass Frau Merkel alles im Griff hat, dafür arbeiten will sie offensichtlich laut ihrem Interview nicht.
Fazit
Wir sind am Ende dieses kurzen Interviews angelangt, das so vielversprechend begonnen hat. Doch dann ich traue meinen Augen kaum, für dieses kurze Interview mit den paar Fragen, von denen einige am Ende noch nicht einmal echte Fragen waren, haben sich gleich drei Journalisten abmühen müssen? Ich hätte gedacht, dass so etwas heutzutage noch ein Journalist leisten kann.
Die Drei waren:
- Buckhard von Pappenheim
- Joachim Frank – Ein Experte für Kirchefragen; sehr passend für christliche Politik.
- Christian Wiermer
Keiner von ihnen ist bei der hamburger Morgenpost als feste Kraft angestellt. Die Morgenpost hat das Interview also dazugekauft, was erklärt wie sich ein hochwertiges Interview dort verirren konnte.
Dann blätter ich die Seite mit dem Merkel-Interview in der Morgenpost um und mich erreicht der übliche Bratwurstjournalismus. Leicht bekleidete Schönheiten räkeln sich auf großen Fotos in der Sonne und im spärlichen Text steht irgendwas von Wetterrekorden.